Ostersonntag wache ich sehr früh auf. Es ist noch dunkel. Ich kann nicht mehr schlafen und beschließe, den Sonnenaufgang auf dem Friesenhügel zu erleben und die Gemeinschaft mit dem Auferstandenen zu suchen.
Am Abend vor dem Schlafengehen las ich noch den ersten Teil von Lukas 24. Ich bestaune den Mut der Frauen, wie sie am frühen Morgen zum Grab gehen, um den Leichnam Jesu zu salben. Sie sehen, dass das Grab nicht verschlossen ist und gehen sogar hinein und erleben eine unbeschreibliche Erfahrung: zwei Männer in hellen Gewändern treten zu ihnen und sprechen: „Was sucht ihr den Lebendigen bei den Toten? Er ist nicht hier, er ist auferstanden.“ Sie erinnern sich an die Worte Jesu, in denen er ihnen bereits seine Leiden und die Auferstehung angekündigt hatte.
Ich frage mich, ob ich so einen Mut und so eine Liebe besessen hätte wie diese Frauen? Hätte ich nicht gedacht: Die Umstände sind nun mal leider so, da kann man nichts mehr machen. Was hat jetzt der Verstorbene noch davon, wenn man ihn salbt – oder so ähnlich. Mich beeindrucken diese Frauen jedenfalls sehr.
Also raus aus dem Bett – und so gehe ich in der Erwartung auf den Friesenhügel (er liegt direkt hinter unserem Haus), eine Begegnung mit dem Auferstandenen zu haben. Am Fuße des Hügels steht in großen Buchstaben: Der Herr ist auferstanden!
Was für eine schöne Begrüßung. Hier war schon jemand fleißig und hatte diesen Gruß mit Kreide auf den Asphalt geschrieben. Wer das wohl war?
Als die Sonne so langsam und majestätisch aus dem dunklen Wolkenhimmel hervortritt, lese ich laut das 24. Kapitel in Lukas weiter und komme an die Stelle, wo die beiden Jünger auf dem Weg von Jerusalem nach Emmaus waren. Während sie heftig über das Erlebte diskutieren, gesellt sich eine Person zu ihnen und hört ihnen zu. Sie erkennen ihn nicht. Es ist der Herr, der ihnen nun die Frage nach dem Inhalt ihrer Unterhaltung stellt. Es sprudelt nur so aus ihnen heraus – alles was sie erlebt hatten und was sie beschäftigte, einschließlich des Berichtes der Frauen, der sie besonders aufgewühlt hatte. Aber sie sprechen auch von ihren Erwartungen und Hoffnungen, die sie nun nicht mehr erfüllt sehen. „Wir hatten gehofft, er sei es, der Israel erlösen werde. Und heute ist schon der 3. Tag seitdem das alles geschehen ist.“ Ihre Illusionen waren vernichtet.
Geht es mir nicht auch oft so, dass ich eine bestimmte Vorstellung von meinem Leben habe, wie etwas geschehen müsse und wie der Herr jetzt handeln könne? Und manchmal fühle ich mich so meilenweit von Ihm entfernt, er spricht gar nicht mehr zu mir persönlich, oder? Und doch geht er schon die ganze Zeit neben mir, und ich erkenne ihn nicht, da ich zu beschäftigt bin.
Er erklärt den “Emmausjüngern“ die Schriften, die ihn als Messias betreffen, und schon sind sie am Ziel und Jesus tut so, als wolle er weitergehen. Aber sie halten ihn zurück mit der Bitte: „Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich schon geneigt.“ Und er bleibt bei ihnen und isst mit ihnen zu Abend und wird von ihnen am Brechen des Brotes erkannt.
Am Friesenhügel wird es immer heller und ich möchte singen: „Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden.“ Obwohl die Sonne gerade wunderschön aufgegangen ist und mein Herz und Auge sich nicht satt sehen können, weiß ich doch, dass es in der Welt Abend geworden ist und ich die Nähe des Auferstandenen immer wieder suchen und genießen sollte. Er ist da, auch wenn ich es nicht immer fühle und meine Pläne und Vorstellungen gerade durchkreuzt werden durch Corona oder anderes! Er ist ganz nah und will von uns gebeten werden: Herr, bleibe bei uns!
Hanne Lüling